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43 - Hüttenstraße 75

Sinti, Roma und Jenische

In Deutschland sind Sinti und Roma seit mehr als 600 Jahren beheimatet. 1407 wurden sie in Hildesheim erstmals urkundlich erwähnt. Antiziganismus, sprich Ausgrenzung, Diskriminierung und Verfolgung, kennzeichnen fast von Anfang an ihren Lebensweg. Schon auf dem Augsburger Reichstag wurden die „Zigeuner“, wie man sie bezeichnete, für „vogelfrei“ erklärt. Das hatte zur Folge, dass sie Übergriffen und Verfolgung schutzlos ausgeliefert waren. Ausgrenzung, Diskriminierung und Verfolgung sind seitdem für die Geschichte der Sinti, Roma und Jenische kennzeichnend. Phasen der Verfolgung wechseln mit kurzen Phasen der Duldung ab. 

Die Verfolgung von Sinti, Roma und Jenischen im Nationalsozialismus steht in einer Kontinuität zur rechtlichen Schikanierung und Diskriminierung während des Kaiserreichs und der Weimarer Republik. Für Aachen galten indes noch restriktivere rechtliche Rahmenbedingungen, welche den hiesigen Polizeibehörden die Möglichkeit eröffnete, willkürlich gegen die 'Unerwünschten' vorzugehen. Denn da Aachen den Status eines Kurortes innehatte, konnte die Behörden auf einen Erlass des preußischen Ministers für Volkswohlfahrt vom 27. Juli 1920 zurückgreifen, der nicht nur den Zuzug, sondern gar den Aufenthalt von „Zigeunern“ in Kurorten, Heilbädern und Erholungsstätten untersagte. Im Rahmen dessen fanden auch in Aachen verschiedene Maßnahmen statt, um die betroffenen Familien über die Reichsgrenze hinweg abzuschieben oder sie an dem Grenzübertritt ins Deutsche Reich abzuhalten. Ab dem November 1927 bekamen Sinti und Roma in Preußen einen ‚Zigeunerausweis‘, im Regierungsbezirk Aachen wurden insgesamt 264 ausgestellt. Dies ist vergleichsweise wenig, was vermutlich mit der vorher stark praktizierten Vertreibungspolitik zusammenhängt. Im Aachener Regierungsbezirk verfolgten die Behörden dabei eine rigorose Abschiebungspolitik. Um eine dauerhafte Niederlassung der Sinti und Roma zu verhindern, wurden diese unmittelbar nachdem sie in einen Landkreis gezogen waren, sofort wieder in den nächsten abgeschoben. Dabei schöpften die Behörden jegliche, Ihnen zur Verfügung stehenden, Mittel zur Durchsetzung ihrer antiziganistischen Vorhaben aus.  So versuchte die Aachener Polizei im Oktober 1929 beispielsweise mehrere Familien mit 55 Personen von einem Grundstück an der Eifelstraße zu vertreiben, welches die Betroffenen gepachtet hatten, indem sie dem Eigentümer des Grundstücks kostenaufwendige Forderungen auferlegten.

Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten radikalisierte sich die Verfolgung und wurde stärker völkisch und rassistisch aufgeladen. Die Vertreibungspolitik in der Aachener Region verstärkte sich, wodurch die betroffenen Familien durch die rigorosen Abschiebungen von Landkreis zu Landkreis jahrelange Irrfahrten durchleben mussten. Insbesondere die Schikanen gegenüber ungewünschte Familien, die versuchten sesshaft zu werden, verstärkten sich. Ende Juli 1936 ließen sich sechs Familien auf einem Platz an der Aachener Hüttenstraße 158 nieder, nachdem sie zuvor von den Polizeibehörden aus Linnich sowie Eschweiler mit dem Hinweis, sich in Aachen in einem dort bestehenden “Zigeunerlager“ einzufinden, abgeschoben wurden. Dies veranlasste die Behörden zu einer Krisensitzung im Aachener Polizeipräsidium, wobei die Beteiligten verfügten, dass eine „Massenkonzentration von Zigeunern wegen der damit verbundenen Gefahren zu vermeiden sei“. In der Folge wurde jenes temporäre „Zigeunerlager“, welches jedoch im Hinblick auf Ausmaße nicht mit anderen derartigen Lagern im Deutschen Reich, wie etwa in Köln-Bickendorf, vergleichbar war, aufgelöst, die betroffenen Familien wurden erneut abgeschoben. 1938 erreichte die nationalsozialistische Verfolgungspolitik gegenüber den Roma und Sinti einen vorläufigen Höhepunkt, als es zu mehreren Razzien und Verhaftungen kam. Bei Verhaftungen im Juni 1938 wurden aus Aachen 11 Sinti und Roma in das Konzentrationslager Sachsenhausen deportiert. Zu dieser Zeit intensivierte sich ebenfalls die systematische Erfassung von Sinti und Roma und, ähnlich wie bei den „Nürnberger Rassengesetze“, die durch die ‚Reichsstelle Ritter‘ unter dem Psychologen und Mediziner Robert Ritter, pseudo-biologistische Festlegung, wer als ‚Zigeuner‘ galt. Im Mai 1940 und ab März 1943 führte dies zu großen Deportationen u.a. in das KZ Mauthausen und nach Auschwitz, denen auch mindestens 78 Roma und Sinti aus der Region Aachen zum Opfer fielen. Noch geplante Deportationen konnten vermutlich durch die Befreiung Aachens durch die Alliierten verhindert werden. Die Gesamtzahl der Opfer des Porajmos, dem Völkermord an den Sinti und Roma, lässt sich nur schwer quantifizieren.

Tafeltext:

Sinti, Roma und Jenische sollten im öffentlichen Leben Aachens nicht mehr sichtbar sein. Die Auflösung eines Sammelplatzes in der Hüttenstraße erfolgte spätestens im August 1936. Die hier Lebenden wurden aus Aachen abgeschoben. Ab 1940 verhaftete die Aachener Kriminalpolizei beinahe alle noch in Aachen lebenden Sinti, Roma und Jenische. Sie wurden in Konzentrationslager deportiert. Ein Großteil ist ermordet worden.

Ergänzende Literatur:

Fings, Karola: Vertreibungspolitik an der Westgrenze. Sinti und Roma in Aachen und Region 1900 bis 1945, in: Fings, Karola, Opfermann, Ulrich F. (Hrsg.):
Zigeunerverfolgung im Rheinland und in Westfalen 1933-1945. Geschichte, Aufarbeitung und Erinnerung, Paderborn 2012.


Gruppe Z (Hrsg.): „Nach Auschwitz verzogen“. Stationen von Nazi-Terror, Verfolgung und Widerstand im „Dritten Reich“, 2. erweiterte Auflage, Stolberg (Rhld.) 2011.

Gruppe Z (Hrsg.): „Nach Auschwitz verzogen“. Leben und Schicksal der verfolgten Juden aus Stolberg während der Nazizeit, Stolberg (Rhld.) 2021.

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