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41 - Münsterplatz 21

Verfolgung queerer Menschen

Queeres Leben in Aachen von der Weimarer bis in die NS-Zeit

Seit dem 1. Januar 1871, dem Inkrafttreten des Strafgesetzbuches des Norddeutschen Bundes, welches in der Folge der Gründung des Kaiserreichs zur Rechtsgrundlage im ganzen Reich wurde, existierte der Paragraf 175, der sexuelle Handlungen zwischen Männern unter Strafe stellte. Jener Paragraf, dessen Fortexistenz bis in das Jahr 1994 immer noch Fassungslosigkeit und Entsetzen auslöst diente mehr als 120 Jahre als rechtliche Grundlage zur Verfolgung homosexueller Männer. Den Nationalsozialisten, welche in der männlichen Homosexualität eine Zersetzung der von ihnen als „Volksgemeinschaft“ stilisierten Gesellschaft befürchteten, verschärften den Paragrafen, indem sie den Tatbestand auf jegliche nach ihrem Verständnis als „unzüchtig“ geltenden Handlungen ausweiteten und das Strafmaß für beischlafähnliche Fälle erheblich erhöhten.

Die gesellschaftliche Rezeption des Gesetzes prägte eine homophobe Haltung gegenüber Homosexualität in der Gesellschaft, welche sich in den Jahrzehnten der Anwendung des Gesetzes im Kontext der rigorosen Verfolgung von schwulen Männern sukzessive manifestierte. Die Folge war eine gesellschaftliche Stigmatisierung, welche Betroffene zwang, Teile ihres Privatlebens sowie ihre Sexualität im Geheimen auszuleben, wobei die Angst vor den rechtlichen sowie gesellschaftlichen Repressionen immanent blieb. Doch ungeachtet dieser menschenunwürdigen Einschränkungen nahmen viele der Betroffenen dieses Risiko in Kauf, um ihr Leben frei und selbstbestimmt zu gestalten, und prägten schwule Subkulturen, die vordergründig regionalspezifische Netzwerke von Treffpunkten umfassten.

Wie in vielen anderen Städten, existierten auch in Aachen bereits in den Jahren vor 1933 informelle Netzwerke und Treffpunkte für homosexuelle Männer. Im Hinblick auf die umfassenden rechtlichen Mittel zur Verfolgung der Homosexuellen verpflichteten sich diese aber auch aus Selbstschutz der Geheimhaltung, so dass auch die hiesige schwule Subkultur  nicht öffentlich sichtbar war, sondern in einem subversiven, oft geheimen, Rahmen agierte. Ein wichtiger Hinweis auf die Existenz dieser Szene liefert der „Internationale Reiseführer“ von 1920/1921, der schwule Treffpunkte in verschiedenen deutschen und internationalen Städten auflistete. In Aachen wurde der Hinweis „Auskunft, Postfach 185, Aachen“ genannt. Dies deutet darauf hin, dass es Orte und Organisationen gab, an denen homosexuelle Männer sich trafen, aber auch, dass diese in der breiten Öffentlichkeit nicht bekannt waren.

Zusätzlich zum „Internationalen Reiseführer“ berichteten Zeitgenossen von einer Reihe von Lokalen, in denen schwule Männer verkehrten. In den 1920er Jahren erschien die Zeitschrift „Die Freundschaft“, die von einer Vereinigung zur Förderung von „Freundschaft und Geselligkeit“ herausgegeben wurde. Die Vereinigung suchte 1922 neue Mitglieder, und es fanden regelmäßige Treffen statt, bei denen sich die Mitglieder zum Austausch und zur gemeinsamen Freizeitgestaltung verabredeten. Diese eher informellen Zusammenkünfte wurden in verschiedenen Lokalen abgehalten, die als Treffpunkte für

Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten im Jahr 1933 verschärfte sich die Verfolgungspraxis gegenüber Homosexuellen massiv. Das NS-Regime betrachtete Homosexualität als eine Bedrohung für die „Volksgemeinschaft“ und sah in der Bekämpfung der Homosexualität eine wesentliche Maßnahme zur Durchsetzung seiner gesellschaftlichen Ziele, welche von rassenhygienischen und sozialdarwinistischen Vorstellungen geprägt waren. In der Folge wurden homosexuelle Männer, die teilweise ohnehin schon in der seit der Weimarer Zeit existierenden sog. Homokartei systematisch erfasst wurden, stärker überwacht, ihre Treffpunkte durch die Behörden kontrolliert, und die existierenden Netzwerke von schwulen Männern zerschlagen. Die Gestapo führte im gesamten Reich umfangreiche Ermittlungstätigkeiten durch, um homosexuelle Männer zu identifizieren und zu verhaften. Auch in Aachen war dies der Fall.

Im Zuge der nationalsozialistischen Verfolgungspolitik gerieten die bereits zuvor bestehenden lokalen Treffpunkte in Aachen unter starken Druck. Der bekannteste Ort, das Café „Zur Neuen Kette“, wurde nach 1933 zunehmend von den Behörden überwacht. Laut Zeitzeugen war es in den Jahren nach der Machtübernahme erheblich schwieriger, offen schwul zu sein und diese Lokale zu besuchen. Viele dieser Treffpunkte, die einst als Orte der freien Begegnung galten, mussten nun aus der gesellschaftlichen Peripherie in den Untergrund verlagert. Die Polizei führte Razzien durch und nahm homosexuelle Männer fest. Diejenigen, die im Rahmen der skrupellosen Ausschöpfung des Paragrafen 175 seitens der Nationalsozialisten verhaftet wurden, wurden entweder in Gefängnisse gebracht oder in Konzentrationslager verschleppt, wo viele der Betroffenen in menschenunwürdigen Verhältnissen alltägliche Torturen erleiden mussten und diesen erlagen.

In diesem Klima der Angst und der Repression wurde es für homosexuelle Männer in Aachen und anderen Städten nahezu unmöglich, ihre sexuelle Identität offen auszuleben. Die Erinnerung von Zeitzeugen zeigt, wie schwule Männer nach 1933 immer stärker in die Illegalität gedrängt wurden.

Betroffene berichteten, dass viele Männer nach 1933 begannen, sich heimlich zu treffen, oft in privaten Wohnungen oder an weniger auffälligen Orten. Doch die Gefahr, entdeckt und damit rechtlich in erheblichem Ausmaß belangt zu werden, war immanent und evozierte eine dauerhafte Drucksituation für die Betroffenen. Viele von ihnen litten unter der ständigen Angst vor Entdeckung und Verhaftung. Die Repression war nicht nur ein politisches, sondern auch ein psychologisches Trauma, das viele von ihnen ihr Leben lang begleiteten.

Die Polizei führte regelmäßig Razzien durch, und wer bei der Ausübung einer vermeintlich „verbotenen“ Handlung ertappt wurde, konnte mit Verhaftung und schwerer Strafe rechnen. Fälle die die NS-Justiz als erschwert definierte wurden mit bis zu 10 Jahren Gefängnis bestraft.

Das Lokal „Zur Sakristei“ in der Schmiedstraße, ein weiterer Treffpunkt für homosexuelle Männer, wurde von den Nazis ebenfalls in den Fokus genommen. Der Wirt Paul Schulz und seine Frau Agnes, die das Lokal nach 1933 führten, hatten zunächst versucht, ihre Gaststätte offen zu betreiben. Doch bald darauf wurde das Lokal als Treffpunkt für „nicht arische Elemente“ und Schwule bekannt, was zu Repressionen seitens der SA führte. Die Zeitzeugen berichten, dass die Atmosphäre im Lokal „versteckter“ wurde, dass es nun weniger offen zuging als noch vor 1933. Einige schwule Männer, die weiterhin regelmäßig das Lokal besuchten, mussten sich fortan heimlich verständigen. Klopfzeichen sollen als Teil eines geheimen Systems zur Identifikation von Gleichgesinnten gedient haben.

Lesbische Frauen wurden im Nationalsozialismus nicht derartig systematisch verfolgt, da vergleichbare Gesetze wie der Paragraf 175 für die Verfolgung von lesbischen Frauen nicht existierten, was jedoch nicht suggerieren soll, dass die weibliche Homosexualität in der zeitgenössischen Gesellschaft toleriert wurde. Vielmehr drückt sich in diesem Befund ein restriktives Verständnis von Geschlechterrollen sowie weiblicher Sexualität aus, deren primärer Sinn im Gebären von Kindern besteht. Im Kontext des nationalsozialistischen Rassenwahns wurden die gesellschaftliche Funktion der Frauen in der sogenannten Volksgemeinschaft vordergründig in der Erhaltung der „arischen“ Rasse verortet, was sich beispielsweise durch das Mutterkreuz greifbar wird. Die Funktion der Mutter wurde von den Nazis auf eine existentielle Dimension überhöht, da für die expansiven Bestrebungen der Nazis eine nach sozialdarwinistischen und rassenhygienischen Vorstellungen gesunde und junge Gesellschaft unerlässlich war. Homosexualität bei Frauen wurde als weniger bedrohlich für die gesellschaftlichen Zielsetzungen des Nationalsozialismus betrachtet, was insbesondere auf den Umstand zurückzuführen war, dass auch lesbische Frauen, unter Ausübung von Druck und Gewalt Kinder gebären konnten, unabhängig von ihrer sexuellen Orientierung. Viele lesbische Frauen, die sich der Verfolgung durch die Nationalsozialisten ausgesetzt sahen, wurden daher vielmehr aufgrund politischer Aktivitäten oder ihrer „Nicht-arischen“ Herkunft verfolgt.

Dennoch führte die Machtübernahme der Nationalsozialisten ab 1933 zu einer starken Unterdrückung lesbischer Netzwerke, die in der Weimarer Republik florierten. Besonders in Großstädten, in denen während der Weimarer Republik lebendige lesbische Netzwerke und Treffpunkte entstanden, führten die Repressionen nach 1933 zu einem Klima der Unterdrückung und Angst. Das NS-Regime begann, diese Netzwerke systematisch zu zerstören. Clubs und Treffpunkte, die bis dahin für lesbische Frauen Orte der Begegnung waren, wurden zerstört.

Ein weiteres häufiges Mittel der Verfolgung war die Denunziation. Da lesbische Beziehungen in der breiten Gesellschaft ein Tabuthema waren, kam es immer wieder vor, dass Nachbarn, Familienmitglieder oder Freunde lesbische Frauen denunzierten. Diese Denunziationen führten oft zu weiteren Ermittlungen, bei denen auch Widerstand gegen das Regime oder Verbindungen zu politischen Gegnern aufgedeckt werden konnten. Lesbische Frauen, die von den Behörden als „asozial“ oder „verbrecherisch“ eingestuft wurden, wurden verhaftet und in Konzentrationslager deportiert.

Die Dokumentation der Verfolgung lesbischer Frauen im Nationalsozialismus ist besonders schwierig, da es keine expliziten Gesetze gab, die die Verfolgung weiblicher Homosexualität regelten. Zudem sind viele Archivdokumente zu lesbischen Frauen in Verbindung mit dem Regime nicht direkt zugänglich. Die SS und andere Behörden führten in ihren Akten keine expliziten Aufzeichnungen über die sexuelle Orientierung der Häftlinge. Lesbische Frauen wurden meist als „Asoziale“, „Juden“, „Roma“ oder „politische Häftlinge“ geführt. Die Tatsache, dass viele lesbische Frauen ihre Sexualität nicht öffentlich machten, erschwert zudem die historische Rekonstruktion ihrer Erfahrungen.

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