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20 - Groß-/ Kleinkölnstraße

Enteignung und 'Arisierung'

Am 1. April 1933, einem Samstag, riefen die Nationalsozialisten in ganz Deutschland zu einem Boykott jüdischer Geschäfte, Anwälte und Ärzte auf. Boykott bedeutete, dass an diesem Tag niemand in die Geschäfte oder Praxen jüdischer Inhaber gehen sollte. Auch in Aachen führte die SA (Sturmabteilung) unterstützt durch die Hitlerjugend die Boykott-Aktion durch. Die nicht-jüdischen Aachener*innen sahen den Aktionen zumeist tatenlos zu, auch wenn sie vielleicht nicht damit einverstanden waren. An die Fensterscheiben der betroffenen Geschäfte malten SA- und SS Davidsterne. Vor den Eingängen standen Hitler-Jungen Posten mit Schildern, auf denen 'Kauft nicht bei Juden' oder 'Wer noch bei Juden kauft, wird kostenlos fotografiert' zu lesen war. Damit wurden die meisten Aachener eingeschüchtert, denn man konnte nur ahnen, was dann mit den Fotos passieren würde. Dennoch blieb an den meisten Orten der gewünschte Erfolg der antisemitischen Boykottmaßnahme aus: Viele Menschen gingen trotz der Drohungen in die Geschäfte, häufig auch mangels Alternativen. Der April-Boykott wurde in Aachen nach einem Tag beendet und in dieser Form nicht mehr durchgeführt.

Der nationalsozialistische Staat begann jüdische Menschen formal-juristisch zu diskriminieren und ihnen die sukzessiv erkämpften Bürgerrechte der vorherigen Jahrzehnte abzuerkennen. Schon 1933 gab es 45 Reichsgesetze und Verordnungen, die in diskriminierender Weise die Stellung der “Nichtarier”, damit waren vor allem Juden gemeint, im Deutschen Reich neu festlegten. Aber das war nicht das einzige. Im Laufe der dreißiger Jahre gab es immer wieder Ausschreitungen gegen Juden und heftige Propagandakampagnen.

In Tageszeitungen wie dem „Westdeutschen Beobachter“ in Aachen wurden zum Beispiel im Frühjahr 1934 Pläne der wichtigsten Geschäftsstraßen veröffentlicht, in denen Geschäfte verzeichnet waren, die die Zeitung ihren Lesern besonders empfehlen wollte. Die Geschäfte jüdischer Inhaber waren besonders markiert, mit der Aufforderung, dort nicht zu kaufen.

Jüdisches Leben sollte aus der Öffentlichkeit verdrängt werden, weshalb bis zur Reichspogromnacht die rechtliche Diskriminierung von Jüdinnen und Juden mit zunehmend mehr und mehr Gesetzen begleitet war. Ein bekanntes und frühes Beispiel für eine damals sogenannte 'Arisierung' ist die Leonard Tietz AG, die auch in Aachen am zentralen Marktplatz gegenüber vom Rathaus eine Filiale besaß. Die neuen Besitzer, alle den Nazis genehm, benannten das Unternehmen am 11. Juli 1933 in „Kaufhof AG“ um. Aber nicht alle Aachener*innen nahmen den Staatsantisemitismus an. In einem internen Schreiben der Staatspolizeistelle für den Regierungsbezirk Aachen heißt es für September 1935:

“Überhaupt ist das Verständnis der Bevölkerung für die Notwendigkeit der nationalsozialistischen Rassenpolitik [sic!] nur sehr gering. Wenn dazu nun noch von geistlicher Seite derartige Äusserungen zu diesem Thema fallen, so wird es schwer sein, die gläubigen Katholiken von der Notwendigkeit der Rassengesetzgebung [sic!] zu überzeugen. Vielmehr sieht ein erheblicher Teil der Bevölkerung als Massnahmen gegen die Juden als unchristlich und überflüssig an.” [1]

 

 

[1] Faust, Anselm; Rusinek, Bernd-A.; Dietz, Burkhard (Bearb.), Lageberichte rheinischer Gestapostellen. Band II, 2: Juli – Dezember 1935, 
(= Publikationen der Gesellschaft für rheinische Geschichtskunde, Bd. LXXXI), Düsseldorf 2015, S. 1058.


Ergänzende Literatur:

Faust, Anselm; Rusinek, Bernd-A.; Dietz, Burkhard (Bearb.), Lageberichte rheinischer Gestapostellen. Band II, 2: Juli – Dezember 1935,
(= Publikationen der Gesellschaft für rheinische Geschichtskunde, Bd. LXXXI), Düsseldorf 2015.

Lorenz, Andreas: Arisierung und Wiedergutmachung. Ein Beitrag zur Geschichte der jüdischen Tuchfabrikanten Aachens, Aachen 2023.

     

Tafeltext

Am 1. April 1933 bezogen in Aachen um 10 Uhr SS- und SA-Männer Posten vor jüdischen Geschäften und vor Praxen jüdischer Ärzte und Anwälte. „Kauft nicht bei Juden!“ lautete ihr diffamierender Aufruf. Ab 1938 wurden zahlreiche jüdische Geschäfte, Firmen und Privatbesitz „arisiert“. Das bedeutet, widerrechtlich zugunsten nicht jüdischer Deutscher enteignet oder weit unter Wert verkauft. Bis schließlich die Menschen selbst vertrieben, deportiert und ermordet wurden.

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