joomla templates top joomla templates template joomla
  • Stolpersteine
  • Stolpersteine
  • Stolpersteine
  • Stolpersteine

Levy, Selma

Text der Schüler*innen zur Stolpersteinverlegung für die Familie Levy in der Alt-Haarener-Straße 191

In dem Haus mit der Hausnummer 191 hier in der Alt-Haarener-Straße, die bis 1934 Hauptstraße und dann bis zum Kriegsende Adolf-Hitler-Straße hieß, wohnten die Kinder Helga und Else Levy mit ihren Eltern Albert Levy und Selma Levy geb. Simon und ihrer Tante Henriette Levy.

Rolf Levy, selber Holocaust-Überlebender, der bis zu seinem Tod hier schräg gegenüber in der Friedenstraße 8 gewohnt hat, hat uns auf die beiden Mädchen aufmerksam gemacht. Im Jahre 2008 haben wir zum Andenken an seinen Vater Hermann und 6 weitere ermordete Familienangehörige in Aachen und in der Friedenstraße Stolpersteine verlegt. Damals hatte Rolf Levy auch oft von 2 Mädchen gesprochen, Helga und Else Levy, Töchter eines Vetters seines Vaters, die - ähnlich alt wie er - als Kinder in den 1930er Jahren in Haaren gelebt hatten. Es gab aber 2008 keine genauen Angaben zu den Eltern, zum Wohnort und zu den Lebensdaten der beiden Kinder, so dass für sie auch keine Erinnerungssteine gelegt werden konnten.

Kurz vor seinem Tod hat Rolf Levy noch einmal eindringlich darum gebeten, dafür zu sorgen, dass auch an Helga und Else durch Stolpersteine erinnert wird. Inzwischen lagen ihm die Geburtsurkunden der beiden Mädchen vor.

Aus den Geburtsurkunden wissen wir:

Helga wurde am 23. Februar 1930 und Else am 28. März 1931 in Aachen geboren. Sie sind Töchter des Viehhändlers Albert Levy und seiner Ehefrau Selma, geb. Simon aus Haaren. In den Adressbüchern aus den 20er und 30er Jahren haben wir den Handelsmann Albert Levy gefunden, der von 1920 bis 1937 durchgehend in der Hauptstraße 191 in Haaren gemeldet war. Wir können als sicher annehmen, dass dieser Albert Levy der Vater von Helga und Else ist, sie also auch in der Hauptstraße, heute Alt-Haarener-Straße gelebt haben.

Helgas Namen haben wir auch noch in einer Verfügung des Regierungspräsidenten vom 14. September 1936 gefunden, aus der hervorgeht, dass sie und 7 weitere Kinder aus Haaren fortan nicht mehr die Volksschule in Haaren besuchen durften, sondern in die jüdische Volksschule in Aachen wechseln mussten. Else war zu diesem Zeitpunkt noch nicht schulpflichtig.

Ab Sommer 1941 mussten alle noch in Haaren lebenden Jüdinnen und Juden ihre Wohnungen verlassen und wurden im Lager Hergelsmühle interniert. Eine überlebende Haarener Jüdin hat in den 1960er Jahren aus der Erinnerung eine Liste aller im Jahre 1942 dort festgehaltenen Haarener Juden zusammengestellt. In dieser Liste stehen auch die Namen von Helga und Else sowie von ihrer Mutter Selma und ihrer Tante Henriette. Das Lager wurde im Juli 1942 aufgelöst und alle Insassen wurden nach Theresienstadt deportiert. Ihr Vater Albert Levy wurde schon 1941 in das Zwangsarbeiterlager Rhenaniastraße in Stolberg verbracht, von wo er im Juni 1942 nach Majdanek oder Sobibor deportiert wurde.

Alle 5 Familienmitglieder wurden ermordet.

Wir haben einen Bericht aus den 80er Jahren von einem inzwischen leider verstorbenen Haarener Bürger, Professor Hans Kals, der sich an Situationen erinnert, die er als 13- und 14-jähriger Junge erlebt hat. Hans Kals lebte mit seinen Eltern nicht weit von hier in der damaligen Burgstraße, heute Würselener Straße. Er spricht in seinem Bericht von den beiden Levy-Mädchen aus seiner Nachbarschaft. Aller Wahrscheinlichkeit nach beziehen sich diese Erinnerungen auf Helga und Else. Diese Schilderung von Gedanken und Gefühlen eines damals 14-Jährigen – also eines Jungen etwa unseres Alters – möchten wir Ihnen gerne vorlesen:

„Dieser Nachbar Levy blieb mir wohl auch deshalb so gut im Gedächtnis, weil er – schob er in Arbeitskleidung, die Klammern an den Hosenbeinen, sein Rad die steile Straße hinauf – von fern meinem Vater zum Verwechseln ähnlich sah. Er hatte zwei kleine Töchterchen, die die Aachener „Judenschule“ besuchten. Sie standen oft an der Straßenbahnhaltestelle, wenn ich frühmorgens in die katholische Kirche zum „Messedienen“ ging. Ich sprach nie ein Wort mit ihnen, sondern lief mit abgewandtem Gesicht an ihnen vorbei. Sie werden geglaubt haben, dass ich sie verachtete. In Wahrheit lösten sie bei mir Gefühle unerträglicher Scham aus. Ich hätte sie mit Geschenken überhäufen, mit Freundlichkeit erdrücken mögen.

Nach und nach wurden sie mir in der Rückblende geradezu zu Symbolfiguren des jüdischen Schicksals überhaupt. Immer noch sehe ich sie mit dem Judenstern, scheu und verlegen, unter den Fliederbüschen stehen, die dort an der Haltestelle der Tram über eine Villenmauer hinüberwucherten. Sie erscheinen mir noch heute oft im Traum, und ich werde dann von den gleichen Gefühlen der Scham und schuldhaften Bedrückung überschwemmt wie damals.

Es dauerte nicht lange. Auf einmal standen sie morgens nicht mehr da.“

Der Text wurde von Waltraud Felsch und den Schülerinnen und Schülern des Einhard-Gymnasiums Filip Klingelnberg, Felicia Lehmann, Ava Moayeri, Mara Mummert, Claire Simon, Cara Wolf geschrieben und den Wegen gegen das Vergessen zur Verfügung gestellt.

 

Ergänzung 2024 (Waltraud Felsch): 

Als die Stolpersteine verlegt wurden, waren viele Deportations- und Lagerlisten noch nicht öffentlich zugänglich. Entsprechend den Angaben über die Auflösung des Lagers Hergelsmühle in verschiedenen Haarener Dokumentationen mussten wir davon ausgehen, dass Selma, Helga, Else und Henriette Levy nach Theresienstadt deportiert und dort ermordet wurden.

Inzwischen wissen wir, dass sie nicht in Theresienstadt inhaftiert waren. Sie wurden aller Wahrscheinlichkeit nach vom Lager Hergelsmühle im Frühjahr 1942 noch in ein Lager in Eschweiler verlegt und von dort aus zusammen mit Albert Levy mit dem Transport am 15.6.1942 von Aachen nach Sobibor deportiert und ermordet.

Ein Foto in einem Artikel über die Eschweiler Lager in den Eschweiler Nachrichten vom 8. Mai 1990 zeigt mit ziemlicher Sicherheit Helga und Else Levy kurz vor ihrer Deportation:

Seit dem 15. Juni 2016 liegen in der Alt-Haarener-Straße 191 fünf Stolpersteine. Sie erinnern an die Familie Levy:

 
HIER WOHNTE
ALBERT LEVY
JG. 1885
DEPORTIERT 1942
ERMORDET IN
SOBIBOR
 
HIER WOHNTE
SELMA LEVY
GEB. SIMON
DEPORTIERT 1942
ERMORDET IN
THERESIENSTADT
 
HIER WOHNTE
HELGA LEVY
JG. 1930
DEPORTIERT 1942
ERMORDET IN
THERESIENSTADT
 
HIER WOHNTE
ELSE LEVY
JG. 1931
DEPORTIERT 1942
ERMORDET IN
THERESIENSTADT
HIER WOHNTE
HENRIETTE LEVY
JG. 1888
DEPORTIERT 1942
ERMORDET IN
THERESIENSTADT
Foto: Michael Klarmann (2016)

Alle Rechte an dem Text liegen bei Waltraud Felsch.