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Münsterplatz 20

Am 9. Juni 2022 wurde auf Initiative von Bodo Busch am Münsterplatz 20 ein Stolperstein für Jean Horegard verlegt.

 

HIER WOHNTE
JEAN HOREGARD
JG. 18
81
SEIT 1933 MEHRMALS
VERURTEILT § 175
GEFÄNGNIS ANRATH
DACHAU
DEPORTIERT 1943
MAJDANEK
ERMORDET
21.3.1944


(Foto: Dr. Holger A. Dux 2022)

Jean (Johannes Theodor) Horegard wurde am 26.3.1881 in Aachen in der Georgstr. 24 (heute: Schumacherstr.) als fünftes von elf Kindern des Musterwebers Nicolas Mathias Horegard und der Näherin Agatha Maria Lantin geboren. Fünf seiner Geschwister starben als kleine Kinder. Jean und sein ein Jahr jüngerer Bruder Ludwig wurden Fotografen. Möglicherweise lernten sie ihren Beruf im Atelier Thomas Lantin am Friedrich Wilhelm-Platz 10, das vom ältesten Bruder ihrer Mutter, dem Schneider Karl Theodor oder Charles Lantin, und dessen 1864 geborenem Sohn, dem Fotografen Andreas Thomas Lantin, geführt wurde. Am 22.5.1905 heiratete der 24jährige Jean Horegard in Aachen die zwei Jahre jüngere, in Dülken (gehört heute zu Viersen) geborene Näherin Maria Johanna Kraus, mit der er bereits eine schon bei der Geburt am 24.12.1901 anerkannte Tochter Maria Johanna Josefine Horegard hatte. 1904 war Jean Horegard erstmals unter eigenem Namen und als „Photograph“ im Aachener Adressbuch verzeichnet, ab 1907 in der Kleinmarschierstr. 43, spätestens hier auch mit eigenem Atelier (s. Anzeige). Vielleicht ermöglichten der Abschluss der Berufsausbildung oder die Eröffnung des eigenen Ateliers die Heirat. Am 4.8.1906 wurde dort Sohn Matthias Johann Horegard geboren, am 12.9.1908 Tochter Gertrud Luise Agatha Horegard und am 26.10.1911 Sohn Hermann Hubert Horegard. Im April 1907 und im Juni 1909 suchte Jean Horegard schon seinerseits per Kleinanzeige Lehrlinge. Von 1910 bis 1915 schaltete er Anzeigen für Photographien, ab März 1912 mit zweiter Atelier-Adresse Kohlscheid Weststr. 56: Aachener Anzeiger, 6.3.1912 Am 4.5.1914 starb Jean Horegards Ehefrau Maria im Alter von 31 Jahren in der Wohnung in der Kleinmarschierstraße 43. Vermutlich zog der nun verwitwete Jean Horegard mit seinen vier Kindern 1915 nach Kohlscheid in das Haus Weststr. 99 – nach der Jahreszahl auf der Fassade wurde es 1915 fertiggestellt, Eigentümer war laut Kataster von 1914 „Jean Horegard, Photograph zu Aachen“. Von August 1915 bis November 1918 kämpfte Jean Horegard im Ersten Weltkrieg als „Landsturmmann“ bei den Infanterie-Regimentern 364 und 68 und erhielt das Eiserne Kreuz II. Klasse und das „Ehrenkreuz für Frontkämpfer“. Während er im Krieg war, starb 1917 sein jüngster Sohn Hermann Hubert Horegard im Alter von 5 Jahren. Nach dem ersten Weltkrieg führte Jean Horegard sein Atelier in Kohlscheid weiter. 1920 starb seine jüngere Tochter, die 12jährige Schülerin Gertrud Luise Agatha Horegard. 1923 heiratete seine älteste Tochter, die Fotografin Maria Johanna Josefine Horegard, den Bürogehilfen Wilhelm Kornelius Meeßen, unter dessen Namen sie in der Alexanderstraße 33 ein Fotoatelier führte. 1930 kam es zu einer (ersten?) Verurteilung des dann 49jährigen Jean Horegard vor dem Amtsgericht Aachen zu 3 Monaten Gefängnis „wegen Vergehens gemäß § 175 StGB“, 1933 zu einer weiteren zu 2 Monaten. Jean Horegards Sohn Matthias arbeitete als Fotograf im väterlichen Atelier, das er vermutlich 1932 übernahm, 1934 aber aufgeben musste, weil er nicht in die NSDAP eintrat. Im November 1933 starb Jean Horegards Mutter. Am 21.4.1934 fuhr er mit einer Reisegruppe mit dem Dampfer „Gerolstein“ von Antwerpen nach New York. Sein Sohn Mathias heiratete am 3.11.1934 in Aachen, am 3.5.1936 wurde eine Tochter geboren, Jean Horegard wurde Großvater. Am 13.10.1936 starb sein Vater. Im Dezember 1937 kam es zu einer erneuten Festnahme Jean Horegards und zu einer dritten Verurteilung vor dem Amtsgericht Aachen, zu 7 Monaten Gefängnis wegen Vergehens nach dem 1935 verschärften §175 StGB. Nach seiner Strafverbüßung vom 16.12.1937 bis 16.7.1938 zog Jean Horegard wieder nach Aachen und vermietete sein Haus in Kohlscheid. In den Adressbüchern von 1939 und 1940 war er mit der Adresse Schmiedstraße 10 eingetragen, 1941 und 1942 mit der Adresse Münsterplatz 20. Im selben Häuserblock zwischen Schmiedstraße, Münsterplatz und Fischmarkt lagen in den 1930er Jahren nach Aussagen von Zeitzeugen bei schwulen Männern beliebte Lokale, nachdem denen seit 1933 kein offenes Auftreten mehr möglich war: „Zur Sakristei“, Schmiedstr. 20 / Münsterplatz 25 von „Mam“ Agnes Schulz und der „Ejjene Duemjroef“ am Fischmarkt 1 von Wirt „schicke Päul“ Jansen. Am 26.8.1938 kam es zu einer weiteren Vernehmung Horegards durch die Kriminalpolizei Aachen „wegen Verdachts homosexueller Betätigung“, aber nicht zu einer Verurteilung, auch ein Verfahren wegen „heimtückischer“ Falschaussage (zur Parteimitgliedschaft) wurde eingestellt. Am 19.1.1942 erfolgte eine Festnahme durch die Stapo Aachen „wegen Vervielfältigung und Verbreitung einer staatsfeindlichen Bischofspredigt“ – Ausgang unbekannt. Am 10.4.1942 kam es schließlich zu einer erneuten Verurteilung des nun 61jährigen Jean Horegard durch die I. Strafkammer Aachen, diesmal „wegen widernatürlicher Unzucht“ nach § 175a Ziffer 3 StGB (d.h., sein Partner war unter 21) zu 1 Jahr 3 Monaten Gefängnis unter Anrechnung der Untersuchungshaft. Jean Horegard wurde in das Gefängnis Anrath (heute Stadt Willich) transportiert. Nach Ende der Gefängnisstrafe kam er nicht frei, sondern wurde (nach einem Erlass von 1940 bei mehr als 1 Partner) am 16.6.1943 als §175-Häftling in das Konzentrationslagers Natzweiler bei Straßburg eingeliefert, von dort am 10.9.1943 auf einen „Invaliden“-Transport nach Dachau geschickt, schließlich am 11.1.1944 in das Konzentrationslager Lublin bei Majdanek transportiert, wo er am 21.3.1944 starb, angeblich an „Lungentuberkulose“. Lager Majdanek 1944 (Majdanek Museum) Nach Natzweiler wurde ihm aus Aachen Geld überwiesen, vermutlich von seiner Familie. Sein Sohn gab 1946 gegenüber den Alliierten an, sein Vater sei im KZ gestorben.

Initiert wurde der Stolperstein von Bodo Busch, Köln. Die Patenschaft übernahm das Berufskolleg für Wirtschaft und Verwaltung der StädteRegion Aachen, das Jean Horegard seinen Fotowettbewerb „100% Mensch“ widmete.
Weitere Informationen zur Person von Jean Horegard finden sich unter https://www.stolpersteine-homosexuelle.de/jean-horegard