Paugasse 11
Seit dem 20. Juli 2021 erinnern in der Paugasse 11 vier Stolpersteine an David, Zilli, Leo und Ruth Weinhausen. Sie wurden initiiert von Marianne, Elke und Bodo Busch.
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(Foto: Dr. Holger A. Dux, 2021)
David Weinhausen wurde am 10.6.1884 in Aachen im Pontsteinweg 13 (heute Roermonder Str.) als viertes von 7 Kindern des Viehhändlers Leo oder Levi Weinhausen geboren. Um 1890 kaufte sein Vater das Haus in der Paugasse, damals Nr. 13, heute die linke Hälfte von Nr. 11. 1895 starb Davids Vater. Davids Mutter Sibylle führte bis zum 1. Weltkrieg in der Paugasse ein Milchgeschäft. David machte nach der Volksschule eine Lehre bei einem Viehhändler in Korschenbroich und übernahm, zunächst mit seinem Bruder Benjamin, die elterliche Viehhandlung.
Später trennten sie sich geschäftlich und gehörten beide zu den drei bis fünf großen Viehhändlern in Aachen.
David Weinhausen musste mit 20 Jahren, also ab 1904, 2 Jahre Militärdienst bei der Fußartillerie in Metz leisten und wurde bei Beginn des 1. Weltkriegs wieder eingezogen. 1916 verlor er durch eine Granate einen Fuß oder ein Bein.
Zilli Kahn wurde am 26.2.1892 in Asslar bei Wetzlar als drittes von 7 Kindern des Getreide- und Kolonialwaren-Händlers Julius Kahn geboren. Ihrem Vater gehörte ein Haus in der Mittelgasse, er war Mitglied im Verschönerungs- und im Männergesangsverein sowie Vorsitzender der jüdischen Filialgemeinde Asslar. Von dort zogen sie in eine Wohnung in der Jakobstr. 103 in Aachen. Dort wurden auch ihre drei Kinder geboren: Leo Weinhausen am 12.4.1919, Heinz Gustav Weinhausen am 28.8.1922 und Ruth Sibylle Weinhausen am 19.10.1926. 1928 zog die nun fünfköpfige Familie in eine Wohnung in der Guaitastr. 22-24.
Mit der Neuordnung von Landwirtschaft und Agrarhandel im „Reichsnährstand“ wurden jüdische Geschäftsleute nach der nationalsozialistischen Machtübernahme systematisch aus dem Viehhandel gedrängt. David Weinhausen durfte wegen seiner schweren Kriegsverletzung ab 1935 noch als einziger jüdischer Händler in der Kälbermarkthalle des Schlachthofs eine Kommissionsagentur betreiben, bis auch er 1937 aufgab und seine Familie nur noch von seiner kleinen Kriegsrente ernähren konnte. Wegen dieser wirtschaftlichen Schwierigkeiten zog die Familie 1935 wieder in Davids Weinhausens Elternhaus in der Paugasse 13 (heute linke Hälfte von Nr. 11), wo 1935 auch die Barmizwah des zweiten Sohnes Heinz Gustav Weinhausen gefeiert wurde.
1939 heiratete der älteste Sohn Leo Weinhausen die Tochter Lotte des in der nahen Deliusstraße 5 wohnenden Richard Heidelberg, der das Gemeindeblatt herausgab und den Synagogenchor dirigierte. Leo und Lotte zogen 1940 in eine Wohnung in der Alexanderstraße 76, bevor ihre Tochter Reha geboren wurde. Dafür zog 1939 in der Paugasse die fünfköpfige Familie von Lottes Onkel Alfred Heidelberg aus Göritz an der Oder zu, nachdem dieser im Dezember 1938 aus dem KZ Sachsenhausen entlassen wurde.
Im März 1941 mussten Weinhausens und Heidelbergs, wie viele Aachener Juden, in das Barackenlager am Grünen Weg ziehen. Im März 1942 musste die Familie von David Weinhausen in ein sog. Judenhaus in der Königstraße 31 ziehen. Der zweite Sohn, Heinz Gustav Weinhausen, wurde am 15.4.1942 im Zwangsarbeitslager Stolberg Rhenaniastraße interniert.
Am 14. Juni 1942 wurde die ganze Familie David Weinhausen, samt den Kindern Ruth und Heinz Gustav sowie Leo und seiner jungen Familie, wie insgesamt 144 Aachener Juden, mit regulären Zügen zum in Köln zwischenhaltenden Transportzug DA22 gebracht. Dieser Zug fuhr in das Vernichtungslager Sobibór. Dort wurden die Weinhausens bis auf Leo, der mit ca. 100 anderen bei Lublin aus dem Zug geholt und als Zwangsarbeiter ins Lager Majdanek gebracht wurde, vermutlich direkt nach Ankunft am 19.6.1942 mit Motorabgasen ermordet.
Im September 1942 wurde Rosa Benden, die letzte in Aachen verbliebene der Geschwister Weinhausen, gezwungen, ihr Elternhaus in der Paugasse zu verkaufen. Die Anteile ihrer „ausgewanderten“ Geschwister am Erlös beschlagnahmte der Staat.
David Weinhausens Geschwister Emil und Rosa sind 1945 von Theresienstadt nach Aachen zurückgekehrt und wurden später auf dem jüdischen Friedhof begraben. Auf ihrem Grabstein erinnert Rosa Benden „an die am 14.6.1942 deportierte Familie David Weinhausen“.
(Den Text verfasste Bodo Busch)
Es gibt einen kleinen Film über die Familie Weinhausen und die Stolperstein-Verlegung, der unter folgendem Link zu sehen ist: https://youtu.be/Os5rxNNMTEw